Touren

Indemini (Alpe di Neggia)

Wenn der Wetterbericht sich irrt, kann das echt Klasse sein – vorausgesetzt der Irrtum geht in die richtige Richtung. Hier also nun die Vorhersage vom Vortag: „Zunehmende Bewölkung und etwas kühler.“ Als wie gesagt, irren kann so schön sein und de facto war es also beim losfahren etwas sonniger als am Donnerstag und vor allem deutlich wärmer. Es mag also wahr sein, dass die Schweizer Bahn pünktlicher ist, als die Deutsche Bahn, aber die Wettervorhersagen beider Länder sind offensichtlich „gleich gut“.

Zum genialen Wetter des Schlusstags gesellt sich ein ebenso genialer Tipp des Vermieters meiner Ferienwohnung. Der fährt zwar nicht viel Rad, kennt sich aber im Gegensatz zu mir deutlich besser aus in der Gegend um Locarno. Und so ist es ein Glücksfall, dass wir am Freitagmorgen noch kurz miteinander plaudern. Er beschreibt mir eine wirklich schöne Alternativroute durch die Magadino Ebene Damit entfiel dann endlich auch das morgendliche Gedränge und Gebremse auf meinem Weg zwischen Locarno und Quartino auf der gegenüberliegenden Seeseite.

Es geht also los quer durch die Altstadt, vorbei Bahnhof und dann eben nicht Richtung Bellinzona, sondern parallel zur Bahnstrecke – den Radwegmarkierungen – folgend Richtung eines grossen Sportplatzes bei Tenero. Von dort aus ist eigentlich alles prima ausgeschildert (weiter Richtung Bellinzona) und auf halben Weg nach Bellinzona trifft man neben der Autobahn eben wieder auf die Strasse nach Quartino mit ihrem breiten Radweg. Fazit: GPS allein ist toll, aber GPS im Zusammenspiel mit ortskundigen Einheimischen ist unschlagbar. Ach ja: während ich hier gedanklich schon losgefahren bin, sollte ich vielleicht noch kurz sagen, was heute auf dem Programm steht: ein echter Kracher! Heute ist zwar nicht „Schluss mit Lustig“, aber etwas schweisstreibender wird es schon. Von Quartino aus geht es wie bei der Tour nach Locarno rechts immer flach Richtung Italien. Mitten im kleinen Weiler Vira, der am Seeufer noch auf der Schweizer Seite liegt folge ich einem fast unscheinbaren Wegweiser und biege links Richtung Indemini ab. Ich sause noch kurz mit hohem Tempo unter der Bahnlinie hindurch, bevor mein linker Zeigefinger ganz schnell aufs Rentnerblatt meiner schalte (ich stehe zu meiner 3-fach Schaltung). Hinten bleibt die Kette auf dem 23er stehen, denn etwas Reserve muss noch bleiben. Die Strasse vor mir steigt nun wirklich an und zwar heftigst. Andererseits, was hätte ich auch sonst erwarten sollen, denn der See ist auf dieser Seite bis hinunter Luino nur von hohen Bergen umgeben. Am Anfang ist das Ganze etwas schwerfällig, aber schneller als gedacht komme ich in Tritt. Die lange Winterpause und vielleicht auch die vielen Plätzchen scheinen sich jetzt voll auszuzahlen. Auch Jan Ulrich startete schliesslich früher immer etwas „übergewichtig“ in die Saison. Ich fühle mich auf jeden Fall ausgeruht und voller Energie. Und genau diese Energie brauche ich jetzt und hier dringend, denn bereits nach einem Kilometer ist mir klar wie das hier weitergeht. Am Ortsausgang steht ein Schild „Indemini 15 Km“. Vielleicht sollte ich jetzt doch kurz sagen wo es hingeht.

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Der Berg ruft: Auf zur Alpe di Neggia…

Mein erstes „Berg-Ziel“ für diese Saison ist die Alpe di Neggia mit einer Höhe von 1395 m. Keine überragende Höhe, aber während ich in diesem Moment eben das genannte Entfernungsschild passiere, beginne ich zu rechnen. Kopfrechnen funktioniert auf der aktuellen Höhe von 400 m noch recht gut, denn die Luft ist ja hier noch nicht zu dünn… Also: die Passhöhe „Alpe di Neggia“ liegt ca. 4 bis 5 km vor Indemini. Ich muss also noch 1000 Höhenmeter klettern und das auf gerade einmal 10 Kilometer. Eine Durchschnittssteigung von 10 % auf 10 km das ist schon ein Ansage und fast mit dem legendären Kitzbühler Horn vergleichbar. Ich freue mich zum ersten Mal, dass es im März noch nicht ganz so heiss ist und dass ich mich hier auch noch auf der schneebedeckten Nordseite hochhangle. Möglicherweise klingt es etwas masochistisch, aber nach kurzer Zeit macht die Auffahrt echt Laune. Das liegt aber möglicherweise weniger an der Steigung alleine, als an der Kombination Steigung – abwechslungsreiche Strassenführung – gute Strassenqualität – nahezu Null Verkehr – geniale Ausblicke auf den See, das Verzasca Tal und die Magadino Ebene.

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Anstieg nach Indemini: Blick auf Locarno aus der Vogelperspektive

Wer diese kleine Serpentinenstrasse so in den Berg reingelegt hat, der verdient meinen höchsten Respekt. Es ist schon fast unglaublich, wie sich das schmale Asphaltband seinen Weg durch den Wald hoch auf die Alpe di Neggia schraubt. Immer wieder meint man hier geht die Strasse doch nicht weiter und dann nimmt der Weg eben doch eine unerwartete Wendung. Alle die hier im Sommer hochfahren, seinen gewarnt: es dürfte zwar im Wald dann recht schattig sein, aber Ortschaften zum „Nachtanken“ gibt es nicht. Meine nachträgliche Statistik des Anstiegs non Vira bis zur Alpe ist beeindruckend. Der gesamte Anstieg von ca. 13 km weist eine durchschnittliche Steigung von 10 % auf Dabei ist der Verlauf in der unteren Hälfte etwas unter 10 % und oben knapp über 10 %. Nur im Mittelteil kann man sich bei ca. 7% für 2 km etwas „erholen“. Beeindruckend ist aber nicht nur die Statistik, sondern während der Fahrt auch immer wieder der Blick zurück nach unten. Ab 800 m Höhe nimmt dann heute nicht nur die Steigung dramatisch zu, sondern auch die Schneedecke neben der Strasse. Hier auf der Nordseite liegt bereits gut ein halber Meter. Dass es hier etwas kälter wird bekomme ich angesichts der Anstrengung nicht so wirklich mit. Angekommen auf der Alpe di Neggia türmt sich der Schnee neben der Strasse stellenweise noch über 5 Meter auf.

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Passhöhe: do hod’s scho no a weng Schnee…

Von den nur 6 °C hier oben bekomme ich nichts mit, denn die Sonne scheint und mein Puls bekommt von mir nicht genügend Zeit um sich zu normalisieren. Ab geht’s! Für eine Cappuccino Pause auf dieser Höhe ist die Jahreszeit einfach nicht geeignet auch wenn die Wirtschaft „Ritrivo di Neggio“ neben der Strasse durchaus geöffnet zu sein scheint. Es gibt dann doch andere Möglichkeiten sich eine Erkältung zu holen. Die nachfolgende Abfahrt ist dann der volle Hammer. Kaum zu glauben, dass die Abfahrt durch das Valle Cannobina vom Vortag noch zu toppen ist. 22 km bergab, dem Frühling entgegen Richtung Lago. Einfach herrlich. Während auf der Nordseite noch jede Menge Schnee lag, beginnt hier auf der Südseite bereits ab 1000 m bei Indemini der Frühling.

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Kurz hinter Indemini überquere ich die Grenze nach Italien und offensichtlich waren sich Italiener und Schweizer hier einig, dass man den Rennradfahrern ihren Spass beiderseits der Grenze gönnen sollte. Für so eine spärlich bewohnte Gegend ist die Strassen jedenfalls über die gesamte Abfahrt als „top“ zu bewerten. Und wer sich auf der Nordseite erfolgreich den 13 km langen Anstieg auf die Alpe di Neggia hochgeschraubt hat, der wird nun mit sage und schreibe 22 km Abfahrt belohnt. Unten angekommen am See in Maccagno besteht meine einzige in der Gewissheit, dass nun nicht nur der Abfahrtsspass, sondern auch der Urlaub fast vorbei ist. Was noch folgt ist lockeres Ausrollen an der Seeuferstrasse zurück nach Locarno – oder etwa nicht? Ach was – wer möchte es bei Sonnenschein und Südwestwind hier nur „ausrollen lassen“ ?. Bis Vira gebe ich Vollgas und erst in der Magadino-Ebene, als es wieder der Sonne entgegen geht, geniesse ich die letzten Sonnenstrahlen meines Trainingslagers und rolle im Bummel-Tempo zurück nach Locarno.

Zurück zur Eingangsfrage der Tour „Verbania / Laveno“: wie hiess gleich noch einmal diese kleine spanische Insel fürs Trainingslager im Mittelmeer ? Jetzt habe ich es endgültig vergessen 😉

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  • Detailliertes Streckenprofil (klicken zum Vergrößern):

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