Bad Mitterndorf – Judenburg
Die vorletzte Etappe von Peakbreak 2008. Das Ziel in Graz kann man noch nicht riechen, aber irgendwie fühle ich, dass es fast geschafft ist. Nicht ganz unschuldig an diesem angenehmen Gefühl ist die Tortour von gestern. Aufgrund der Verlängerung der gestrigen Etappe ist die heutige Etappe nach Judenburg um 15 Kilometer kürzer und damit gerade einmal 126 km lang. Die damit kürzeste (echte) Etappe von Peakbreak hat aber mit dem 1790 m hohen Sölkpass auch noch einmal eine echte Herausforderung und ein weiteres Schmankerl zu bieten. Der Sölkpass war für mich, wie auch das Nassfeld auf der zweiten Etappe, ein unbeschriebenes Blatt. Die reinen Fakten sagen nichts über diesen Pass, den ich neben dem Nassfeld zu den schönsten der ganzen Rundfahrt zählen würde.
Die Bilder wiederholen sich, aber ich erinnere mich gerade deswegen gerne: 9 Uhr, Start bei strahlendem Sonnenschein und über 20° am Ortsrand von Bad Mitterndorf. Ein Tag wie bestellt. Neutralisiert rollt der Pulk der Fahrer die ersten 18 km bis kurz vor dem Ort Irdning, dann ertönt das Signalhorn zur Rennfreigabe. Sofort schnellt der Schnitt von lockeren 30 km/h auf 35 km/h hoch. Wir rauschen geschlossen durch die Ebene bis Stein an Enns, doch dann ist wieder einmal die Zeit gekommen um Farbe zu bekennen, denn kurz hinter dem Ort beginnt bereits der Anstieg zum Sölkpass. Die ersten 5 Kilometer verlaufen über zwei recht steile Rampen zum Stausee Grosssölk, dann lässt das Brennen in den Beinen wieder etwas nach. Bis 3,5 km vor der Passhöhe ist die Steigung eigentlich kein Problem, aber dann wird es wieder hart. In der glühenden Mittagssonne erreichen die Temperaturen bereits jetzt fast 30°C im Schatten und das auf über 1300 m Höhe, wo eigentlich kaum mehr Schatten zu finden ist. Es läuft gut zu diesem Zeitpunkt, da bereits mehr als 50 km absolviert sind. Kammkarlspitze, Schafdach, Haseneckscharte, Hochstubofen, Hornfeldspitze, Nageleck und Deneck heißen die majestätischen Statisten der 2000 er, die hier die Kulisse rund um den Sölkpass bilden. Der Sölkpass und sein Talabschluss haben etwas Mystisches an sich, selbst in der glühenden Mittagssonne. Drei Wochen später werde ich hier zufrieden Urlaub machen und kann damit im Nachhinein diesen flüchtigen Eindruck während des Rennens nur bestätigen.
Oben auf der Passhöhe wartet die erste Verpflegungsstelle. Ich lasse mir mit den anderen, die bereits da sind Zeit, denn wir wollen als größere Gruppe weiterfahren. Die 5 Minuten Pause an der Verpflegungsstelle in der Mittagshitze tun wirklich gut und kommen mir vor wie eine Ewigkeit. Der Puls fällt scheinbar ins Bodenlose und als wir schließlich wieder losrollen kommt es mir so vor als wäre gerade erst der Startschuss gefallen. Die fast 13 km Abfahrt hinunter Richtung St. Peter am Kammersberg sind einfach unbeschreiblich. Nur vereinzelte Kehren zwingen zur Mäßigung, ansonsten kann man das Rad die meiste Zeit ungehindert durch die grandiose Almenlandschaft gleiten lassen.
Unten angekommen bleibt wenig Zeit die Sinne zu sortieren. Nach nur 4 flachen Kilometern werden wir noch vor St. Peter linker Hand Richtung Oberwölz geleitet. Der Anstieg folgt unmittelbar und ohne Vorwarnung. Er ist mit 3 Kilometern und knapp über 200 Höhenmetern nicht umwerfend. Eigentlich ein „no name“ Pass, aber bei 30°C im Schatten treibt mir dieser scheinbar harmlose, 3 km lange Anstieg doch den Schweiß ganz schön aus den Poren. Hinter uns beginnt es irgendwo in den Bergen zu grollen. Kein Zweifel, ein Gewitter ist im Anzug und genauso fühlt es sich auch an: tropisch. Kurze Zeit später ist der Sattel des Anstiegs erreicht und ab geht’s – hinunter nach Oberwölz. So ein Gewitter im Nacken löst bei mir immer wieder einen Adrenalinschub aus. Es gibt kaum etwas vor dem ich auf dem Rad mehr Respekt habe. Das primäre Ziel ist also klar: nicht nur so schnell wie möglich das Ziel erreichen, sondern sich nur nicht vom Gewitter erwischen lassen. In Oberwölz, der mit 1100 Einwohnern kleinsten Stadt der Steiermark, befindet sich die zweite Verpflegungsstelle der heutigen Etappe. Trotz der ganzen Hektik, das schöne alte Stadttor bei der Einfahrt in den Ort kann man eigentlich nicht übersehen. Schnell fülle ich noch einmal meine beiden Wasserflaschen auf, schlinge ein Stück Banane und etwas Powerbar runter, auch wenn es nur noch gut 30 km zum Ziel in Judenburg sind. Für die weitere Schönheit des kleinen, mittelalterlichen Ortes bleibt in diesem Moment nur ein flüchtiger Blick. Zwei Wochen später im Urlaub habe ich mir dann etwas mehr Zeit genommen. Kleiner Tipp, hier steppt nicht gerade der Bär, aber ein Stadtrundgang mit Besichtigung der Kirchen und des einen oder anderen Details ist wirklich lohnenswert. Übrigens, die Wölzertauern schenkte König Heinrich II bereits im Jahre 1007 einem Bayern, nämlich Egilbert von Freising. Die Burg Rothenfels bei Oberwölz war im 12. Jahrhundert Lieblingssitz der Freisinger Bischöfe: Bei so vielen bayrischen Wurzeln in dieser Gegend muss sich ein Radl-Kini hier ja wohlfühlen. Obgleich, zum Wohlfühlen ist es 40 km vor dem Ziel dann vielleicht doch noch etwas zu früh. Vor allem der gleich hinter dem Ort anstehende, 8 km lange Anstieg Richtung Lachtal fordert mit seinen 500 Höhenmetern jetzt noch einmal meine ganzen Reserven. Also Flaschen füllen und ab geht die Post durch das zweite Stadttor wieder heraus aus Oberwölz. Nach dem Stadttor scharf rechts, gleich wieder scharf links und nach kurzem Zick-zack Kurs stehen wir bereits wieder im Anstieg. Mit einer Gruppe von fünf weiteren Mitstreitern bin ich gemeinsam von der letzten Verpflegungsstelle gestartet. Neben mir im Sattel kämpfen der Belgier Wim, das Team Karlheinz und Jürgen, Andreas sowie Lothar gegen den ansteigenden Asphalt unter den Rädern. Die Steigung mit durchschnittlich 5 – 6 Prozent ist nicht der eigentliche Gegner. Der eigentliche Gegner ist die immer noch unbarmherzige Hitze, zusammen mit der immer schwüler werdenden Luft. Das Wasser aus den beiden Trinkflaschen dient mir mittlerweile kaum mehr zum Trinken, sondern vielmehr als Dusche für eine willkommene Abkühlung. Die Kollegen um mich herum kenne ich mittlerweile sehr gut. Einmal abgesehen vom Bergzeitfahren fährt man eigentlich schon seit dem zweiten Renntag gegen Ende einer Etappe zumeist mit den gleichen Fahrern in einer Gruppe. Man findet in so einem Etappenrennen relativ schnell heraus in welcher „Gewichtsklasse“ man fahrerisch mitspielen kann. Und letztendlich findet sich so eine gute Zweckgemeinschaft: jeder weiß wahrscheinlich, dass er zusammen mit den anderen in einer Gruppe noch einmal einige Prozent mehr geben kann als wenn er alleine fährt. Langweilig ist es dabei keineswegs. Auch wenn die Gruppe lange zusammenbleibt, so habe ich das Gefühl jeder hat auch noch eine gesunde Portion eigenen Ehrgeiz. Und so ist es nur recht, wenn man gegen Ende des Rennens auch noch einmal die Chance sucht, das persönliche Tagesziel etwas höher zu stecken: einfach noch einmal forcieren, vor der Gruppe ins Ziel zu kommen. Das ist einfach Radrennsport, dafür sind wir hier. Klar, während ich hier am letzten Anstieg kämpfe ist Joa schon fast im Ziel. Aber Joa, Pascal, Markus, Christoph… das sind nicht meine Gegner. Die Fahren in einer anderen Klasse und es ist genial, dass 31 Rennradler, die so unterschiedlich stark sind Peakbreak in dieser ersten Auflage zu dem machen was es ist: ein Jedermann-Etappenrennen der aller besten Qualität. Die Spitze liefert sich packende Rennen, im Mittelfeld sucht jeder sein persönliches Erfolgserlebnis und auch hinten im Klassement liefern sich Volker und Frank bis zum Schluss packende Duelle gegen die „Rote Laterne“. Wenn Peakbreak mit nur 31 Teilnehmern so unterschiedlicher Fahrstärken für jeden ein persönliches Rennerlebnis bieten kann, dann kann ich nur jedem raten der, so ein Etappenrennen noch nie mitgemacht hat: nicht länger warten, anmelden…
Heute ist in meiner Gruppe der Tag unseres sympathischen Belgiers Wim. Heute verfügt er in der Gruppe über die meisten Kraftreserven. Im Anstieg über Schönberg nach Oberzeiring hat er die meisten Reserven zu bieten und kann sich entscheidend absetzen. Bei 30°C im Schatten ohne Schatten: Respekt Wim! Vielleicht ist es in Belgien ja doch wärmer als ich dachte und ich sollte auch einmal einen der legendären Frühjahrsklassiker mitfahren. Wim ist an diesem Tag auf jeden Fall nicht mehr von unserer Gruppe einzuholen. Er wird das Ziel in Judenburg gut eine Minute vor uns erreichen. Kurz hinter Oberzeiring ist das Ziel dann in greifbarer Nähe. Die L514 biegt rechts auf die B114 nach Judenburg ab. Von hier ab fällt die Strasse kontinuierlich mit fast durchschnittlich 2 %. Kein Wunder, dass ich trotz über 2000 Höhenmetern in diesem Moment das Gefühl habe dem Ziel entgegen zu fliegen. Kurz vor dem Zentrum der Altstadt überqueren wir die weit gespannte Brücke über die Mur. Ein Blick nach rechts hoch zur Stadtmauer und mir ist klar, dass es jetzt noch einmal heisst: Zähne zusammenbeißen. Der letzte Kilometer nach der virtuellen Flamme rouge kurz hinter der Murbrücke wird hart. Jetzt arbeitet wieder jeder der verbliebenen 5er Gruppe für sich. Im Anstieg nach dem Kreisverkehr kann ich noch einmal kurz forcieren. Den Rest hoch im Anstieg zum Judenburger Hauptplatz schaffe ich es das Tempo nach der ersten Kurve zu halten. In diesem Moment habe ich das Gefühl schneller und schneller zu werden, aber die nackten Zahlen sprechen dagegen. Offensichtlich wurde ich nicht schneller, aber die anderen konnten auch nicht mehr zulegen. Ich überquere als 23ster die Ziellinie. Der Platz ist unwichtig. Der Schnitt ist mit 25,1 km/h nicht überragend. Auf der ultra langen Etappe gestern war er sogar höher. Als Erfolg werte ich es dagegen, dass ich im Vergleich zur ersten Etappe nicht nachgelassen habe. Sechs Tage im Sattel und kein bisschen müde – damit bin auch ich heute zufrieden.
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